Industry 4.0 in deutschen KMU: Digitale Transformation durch Lean Management

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Industry 4.0 in deutschen KMU: Digitale Transformation durch Lean Management

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Die digitale Revolution verändert weltweit ganze Branchen – und für deutsche kleine und mittlere Unternehmen (KMU) steht dabei besonders viel auf dem Spiel. In einer derart wettbewerbsintensiven und innovationsgetriebenen Wirtschaft müssen sich diese Unternehmen anpassen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dennoch stehen viele KMU weiterhin vor der Frage: Wie können sie Industry 4.0 nutzen, ohne die Kontrolle über die Komplexität zu verlieren oder die Kosten in die Höhe zu treiben?

Die Antwort liegt zunehmend in einem überraschend traditionellen Ansatz: LeanManagement. In Kombination mit der digitalen Transformation wird Lean mehr als nur eine Prozessphilosophie – es wird zu einer praktischen Strategie zur erfolgreichen Navigation durch Industry 4.0.

Obwohl ein Großteil der Transformation innerhalb der Unternehmen stattfindet, spielt auch die öffentliche Politik eine entscheidende – wenn auch mitunter unterschätzte – Rolle. Staatliche Initiativen und Förderprogramme sind keine alleinigen Lösungen, doch in Abstimmung mit internen Lean-Strategien können sie als Beschleuniger wirken und KMU dabei helfen, ambitionierte digitale Visionen in greifbare Ergebnisse zu überführen.

Deutschland: Weltweit führend bei der Umsetzung von Industry 4.0

Deutschland hat sich als weltweiter Vorreiter in der Umsetzung von Industry 4.0 etabliert und sich damit als idealer Standort für digitale Transformation in der Fertigung positioniert. Mit einem starken Netzwerk aus Forschungsinstituten, Hochschulen und Industrieclustern unterstützt Deutschland die Integration von Spitzentechnologien wie IoT, Big Data und Künstlicher Intelligenz in seine vielfältigen Industriesektoren. Das Engagement des Landes für die Digitalisierung zeigt sich darin, dass bereits 62 % der deutschen Unternehmen Industry 4.0-Lösungen1 nutzen – insbesondere in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und in der Elektronikbranche.

Die umfassende Unterstützungsstruktur des Landes im Bereich Forschung und Entwicklung ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren. Institutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaft, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das Nationale Forschungszentrum für Angewandte Cybersicherheit (ATHENE) bieten entscheidende Forschungskompetenz, während regionale Cluster und Netzwerke die Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und führenden F&E-Organisationen fördern. Dieses vernetzte Ökosystem sorgt dafür, dass Deutschland bei den globalen Entwicklungen im Bereich Industry 4.0 führend bleibt – und Unternehmen die Chance haben, über die neuesten digitalen Technologien Innovation zu nutzen und ihre Produktivität zu steigern.

Die Rolle von Industrie 4.0 bei der Prozessoptimierung

Industry 4.0 wird oft fälschlicherweise als fernes Ideal betrachtet – als eine Welt voller Roboter, Künstlicher Intelligenz und Schlagwörter – statt als das, was sie zunehmend ist: ein praktischer Werkzeugkasten für Operational Excellence, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Das Versprechen der digitalen Transformation liegt nicht in spektakulären Prototypen oder futuristischen Fabriken, sondern in der stillen, kontinuierlichen Verbesserung alltäglicher Prozesse. Und wenn die Disziplin des Lean Management diesen digitalen Wandel lenkt, sind die Ergebnisse nicht nur eindrucksvoll, sondern auch messbar. Die Technologie von DMG Mori half Martin-Baker, in der hochvarianten Zerspanung eine OEE von 80 % zu erreichen – ein Beleg dafür, wie fortschrittliche Überwachung und Automatisierung Flexibilität in Produktivität verwandeln können2.

Hier liegt der wahre Wert von Industry 4.0: nicht darin, menschliches Urteilsvermögen zu ersetzen, sondern es zu schärfen. Cloud-Plattformen, Sensoren und Dashboards in Echtzeit lösen keine Probleme von selbst. Aber sie machen Ineffizienzen sichtbar – genau jene, die durch Lean Thinking gezielt beseitigt werden. Porsche beispielsweise setzte in der Produktion seiner Elektrofahrzeuge eine flexible, auf fahrerlosen Transportsystemen (AGVs) basierende Montagelinie ein, optimierte damit Arbeitsabläufe und senkte die Investitionskosten um bis zu 40 %3.

Deshalb gilt: Digitale Werkzeuge sind nicht das Ziel. Sie sind Instrumente kontinuierlicher Verbesserung. Ein digitales Kanban-Board ist keine Innovation – es ist gesunder Menschenverstand in einer vernetzten Welt. Ein datenbasierter Gemba Walk ersetzt den Besuch auf dem Shopfloor nicht – er macht ihn intelligenter. Für KMU erfordert dieser Wandel keine riesigen Sprünge oder massive Investitionen. Er erfordert Entschlossenheit: den Willen, die Disziplin von Lean mit den Möglichkeiten digitaler Technologien zu verbinden. Das ist keine Vision für morgen – es ist das, was zukunftsorientierte Unternehmen schon heute tun. Still, wirkungsvoll und mit nachhaltigem Effekt.

Sind Sie bereit, Theorie in messbare Ergebnisse zu verwandeln?

Lean Management als Treiber der digitalen Transformation

Viele KMU tappen in die Falle eines technologiezentrierten Denkens. Sie investieren in fortschrittliche Software, Maschinen oder KI-Pilotprojekte, ohne zu prüfen, ob ihre Prozesse und Teams dafür bereit sind. Wenig überraschend bleiben die Ergebnisse oft hinter den Erwartungen zurück. An diesem Punkt setzt Lean Management einen grundlegenden Paradigmenwechsel in Gang. Es ebnet nicht nur den Weg für digitale Werkzeuge – es schafft das notwendige Mindset und die Unternehmenskultur, damit diese überhaupt wirksam werden können.

Ein Beispiel dafür ist Ford. Das Unternehmen ersetzte manuelle Fahrzeuginspektionen durch automatisierte Machine-Vision-Systeme zur In-Line-Qualitätskontrolle im Lackierprozess. Dieses System nutzt 16 hochauflösende Kameras, um Schmutzpartikel zu erkennen, die kleiner als ein Salzkorn sind, und erstellt über 1.000 Bilder pro Fahrzeug, um ein detailliertes 3D-Modell der Karosserie zu erzeugen. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: eine um 90 % höhere Fehlererkennung im Vergleich zur menschlichen Inspektion, bei der zuvor nur rund 50 % der Defekte entdeckt wurden4. Durch die Integration dieser fortschrittlichen Technologie in eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und Lean-Prinzipien konnte Ford den Inspektionsprozess deutlich verschlanken und die Qualitätskontrolle signifikant verbessern.

Ebenso entscheidend ist die Einbindung der Mitarbeitenden. Digitale Transformation ist nichts, was man verordnet – sie ist etwas, das gemeinsam gestaltet werden muss. Bosch führte kollaborative APAS-Roboter zur End-of-Line-Inspektion ein und integrierte die Bedienenden sicher in den Prozess – mit Effizienzgewinnen und einer Amortisation in weniger als 20 Monaten5.

Von gleicher Bedeutung ist die strukturelle Unterstützung solcher Transformationen. Wenn sie klug eingesetzt werden – nicht als Rettungsanker, sondern als Multiplikatoren – machen diese Faktoren Lean-digital Transformationen nicht nur realisierbar, sondern auch langfristig tragfähig.

Die beste Technologie ist nutzlos, wenn Prozesse verschwenderisch sind. Digitale Transformation beginnt mit Lean.

Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Kaizen: Die Zukunft intelligenter Fabriken gestalten

Die Diskussion rund um Industry 4.0 wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung dominiert – und das zu Recht. Diese Technologien sind längst nicht mehr experimentell. Sie prägen bereits heute die Realität der Produktion, insbesondere in agilen, innovationsgetriebenen KMU.

Doch bei aller Begeisterung ist ein realistischer Blick unerlässlich. Die eigentliche Gefahr besteht nicht darin, bei der Einführung von KI zurückzufallen, sondern darin, sie ohne ein stabiles Fundament zu implementieren. Automatisierung funktioniert am besten, wenn Prozesse bereits standardisiert sind – andernfalls riskiert man, Chaos zu automatisieren.

Im Kern lehrt uns Kaizen, dass Automatisierung niemals darauf abzielen sollte, Verschwendung oder ineffiziente Abläufe einfach zu beschleunigen. Wenn die zugrunde liegenden Prozesse fehlerhaft sind, wird Automatisierung diese Ineffizienzen nur verstärken. So kann das Automatisieren ungeordneter oder inkonsistenter Arbeitsabläufe zu noch größerem Durcheinander führen – mit entsprechenden Verlusten an Ressourcen und Zeit. Ein häufiger Irrtum besteht darin, zu glauben, dass Automatisierung sämtliche Probleme löst, ohne zuvor die eigentlichen Ursachen zu adressieren. Wird Automatisierung voreilig eingeführt – ohne Ausrichtung auf Lean-Prinzipien oder ohne standardisierte Prozesse –, kann dies zu erhöhter Komplexität und unnötigem Aufwand führen.

Diese Risiken sind keineswegs theoretisch – sie zeigen sich in vielen Branchen. Unternehmen investieren mitunter beträchtliche Summen in die Automatisierung nicht-wertschöpfender Tätigkeiten, etwa bei der Handhabung von Überbeständen oder bei redundanten Genehmigungsprozessen, ohne zu erkennen, dass diese Praktiken an sich Verschwendung darstellen. Das Resultat sind Systeme, die schwer skalierbar oder anpassbar sind – und neue Ineffizienzen in den Arbeitsabläufen erzeugen. Automatisierung sollte ein Werkzeug zur Beseitigung von Verschwendung sein – nicht dazu dienen, sie dauerhaft im System zu verankern.

Die wahre Stärke von Automatisierung liegt darin, bereits gut optimierte Prozesse zu verbessern. Richtig eingesetzt, können automatisierte Systeme mit KI-gestützter Bilderkennung die Fehlererkennung deutlich steigern und Teams von monotonen Aufgaben entlasten, sodass sie sich auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren können. Ebenso ermöglichen Digital Twins – virtuelle Abbilder von Produktionsumgebungen – die Erprobung von Änderungen in einer simulierten Umgebung. So können Unternehmen schneller iterieren, günstiger Prototypen entwickeln und mit weniger Ressourcen mehr lernen. Dieser Ansatz stellt sicher, dass digitale Werkzeuge und Automatisierung im Einklang mit den Prinzipien kontinuierlicher Verbesserung stehen – dem Fundament von Kaizen.

Die Botschaft bleibt eindeutig: Standardisieren, bevor automatisiert wird. Wenn Prozesse nicht Lean sind, wird KI sie nicht verbessern – sie wird die Verschwendung nur vergrößern.

Empfehlungen für deutsche KMU: Der Lean-Weg zu Industrie 4.0

Wie also können KMU diese Transformation beginnen, ohne sich in Fachbegriffen zu verlieren oder in Technologien zu investieren, die sie gar nicht brauchen? So gelingt der Weg mit Klarheit, Struktur und Wirkung:

1. Mit einer Prozessanalyse starten: Gemba Walk 4.0
Bevor in irgendetwas investiert wird, sollten KMU mit direkter Prozessbeobachtung beginnen – durch die Kombination von Lean-Prinzipien vor Ort mit digitalen Werkzeugen zur Aufdeckung von Ineffizienzen.

2. Wirkung vor Perfektion priorisieren

Statt einer umfassenden Digitalisierung hinterherzujagen, sollte dort angesetzt werden, wo es wirklich zählt. Das 80/20-Prinzip anwenden: Wo kann eine kleine Veränderung große Wirkung erzielen? Gezielt erzielte Erfolge schaffen interne Akzeptanz und halten den Fokus auf das Wesentliche gerichtet.

3. Digitale Fähigkeiten auf dem Shopfloor stärken

Technologie verändert nichts von allein – Menschen tun das. KMU müssen digitale Kompetenz gezielt aufbauen. Praktische Ansätze sind regelmäßige Kaizen-Workshops mit Technologiefokus, bereichsübergreifende Schulungen zu Daten-Grundlagen oder das Benennen interner Veränderungstreibender. Berufsbezeichnungen wie „Digital Lean Coach“ mögen variieren – doch die Idee dahinter ist einfach: Menschen dazu befähigen, den Wandel von innen heraus anzuführen.

4. Fortschritt sichtbar machen Transformation muss messbar – und sichtbar – sein. KPIs wie OEE, Durchlaufzeiten und Fehlerquoten sollten mit physischen Dashboards oder digitalen Kamishibai-Boards verfolgt werden. Wenn Teams die Daten sehen, übernehmen sie Verantwortung für die Verbesserung. Und wenn Führungskräfte Fortschritte sehen, unterstützen sie diese.

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Fazit: Transformation braucht ein System

Es mangelt deutschen KMU nicht an Ambition – doch Ambition allein führt nicht zu echtem Wandel. Was Unternehmen, die vorankommen, von jenen unterscheidet, die stagnieren, ist Struktur.

Technologien von Industry 4.0 entfalten ihr volles Potenzial nur auf der Basis solider, optimierter Prozesse. Es geht nicht darum, jedem Trend hinterherzulaufen – sondern darum, zu wissen, wo man steht, sich kontinuierlich zu verbessern und Werkzeuge gezielt einzusetzen, um das zu stärken – nicht zu ersetzen –, was bereits funktioniert.

Die Ergebnisse? Schnellere Kapitalrendite, engagiertere Teams und weniger Fehlstarts. Solche Resultate sind keine glücklichen Ausnahmen – sie sind die logische Folge eines disziplinierten und zielgerichteten Transformationsansatzes.

Lean: Kein Relikt, sondern Grundlage für die digitale Transformation

Es ist an der Zeit, mit der Vorstellung aufzuräumen, Lean sei ein überholtes Konzept. In Wirklichkeit ist es genau das Mindset, das digitale Transformation möglich und dauerhaft tragfähig macht. Klein anfangen. Den Fokus auf Wert legen. In einer Welt, die sich immer weiter in Richtung Komplexität bewegt, bleibt Lean Thinking das schärfste Werkzeug, um Klarheit zu schaffen.Für deutsche KMU liegt der Schlüssel zum erfolgreichen Umgang mit Industry 4.0 nicht darin, die neuesten Technologien überstürzt einzuführen – sondern darin, ein starkes Fundament aus Lean-Prinzipien zu schaffen, Prozesse zu standardisieren und eine Kultur kontinuierlicher Verbesserung zu fördern. So lassen sich digitale Werkzeuge wirksam einsetzen, typische Stolperfallen vermeiden und ein nachhaltiges, skalierbares Wachstum schaffen, das langfristig wettbewerbsfähig macht.

Quellen

  1. Germany Trade & Invest. (n.d.). Industrie 4.0. Germany Trade & Invest. ↩︎
  2. McKinsey & Company. (2021, April). Capturing value at scale in discrete manufacturing with Industry 4.0. ↩︎
  3. Ibid. ↩︎
  4. Ibid. ↩︎
  5. Ibid ↩︎

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